Arbeit und Leben nachhaltig gestalten

Abgehängt durch Digitalisierung

„Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“

Seneca

Generationen von Heranwachsenden wurden mit dieser Phrase malträtiert. Dabei ist sie nicht einmal korrekt zitiert: Non vitae sed scholae discimus („Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“) ist ein lateinisches Zitat aus einem Brief von Lucius Annaeus Seneca an seinen „Schüler“ Lucilius, in dem er Kritik an den römischen Philosophenschulen seiner Zeit äußert.


Der technologische Express ist nicht aufzuhalten

Spätestens im Berufsalltag angekommen, stellten die meisten fest, dass das an den Schulbänken eingetrichterte Wissen oft nicht wirklich alltagstauglich verwertbar war. Praktisches Know-how ist gefragt, das kommt nur mit der Zeit und mit Training on the Job. Besser noch: Mit Training parallel zum Job. Ohne die passende Ausbildung oder ein abgeschlossenes Studium, funktioniert es allerdings nicht – insbesondere wenn es darum geht, die Karriereleiter emporzuklimmen. Wer allerdings an diesem Punkt stehenbleibt, gehört dennoch schnell zum „alten Eisen“.

Seit die Digitalisierung auf dem Vormarsch ist, verkürzt sich der Takt der stetig steigenden Anforderungen zusehends. Das spiegelt sich besonders im Bereich der IT und der Software-Anwendungen wider: Wer sich mit EDV-Kenntnissen, die noch aus der Ära von Windows 98 stammten, einigermaßen durch den Job lavierte, stellt überrascht fest, dass der Express der technologischen Entwicklung längst ohne ihn abgefahren und er an einem verlassenen Bahnhof zurückgeblieben ist, an dem kein Zug mehr halten wird.

Der menschliche Faktor ist entscheidend

Viele Arbeitnehmer fühlen sich hilflos, verloren und alleingelassen, wenn Firmen, Unternehmen und Organisationen plötzlich aus dem Dornröschenschlaf erwachen und beschließen, dass es Zeit ist, den „Change“ einzuläuten. Mit anderen Worten: Nachdem sie einige Jahrzehnte die digitalen Trends und Entwicklungen verschlafen haben, verfallen sie in blinden Aktionismus und glauben, sie könnten mit einem Knopfdruck die Rundumerneuerung durchführen und damit über Nacht alles wieder aufholen.

Rein auf die technische Seite beschränkt, mag das vielleicht sogar stimmen. Wer bereit ist, genug Geld in die Hand zu nehmen, kann sein Unternehmen tatsächlich binnen relativ kurzer Zeit technologisch auf den aktuellen Stand bringen und alles „State oft the Art“ gestalten. Vergessen wird dabei, dass es immer noch Menschen sind, die diese Veränderungen letzten Endes tragen und in der Praxis umsetzen müssen. Die schönste und modernste EDV mit den effizientesten Apps und Programmen hilft wenig, wenn die Mitarbeiter, die damit zurechtkommen müssen, nicht in der Lage sind, den neuen Standards zu entsprechen. Ein paar Schulungen im Schnellverfahren reichen in der Regel nicht aus. Umfangreiche Weiterbildungen sind jedoch mit einem hohen Aufwand an Zeit und Kosten verbunden. Wer sich zudem seit Jahrzehnten aktiv kein neues Fachwissen angeeignet, das Lernen vielleicht sogar weitgehend verlernt hat, wird sich damit ausgesprochen schwertun.

Alte Muster funktionieren nicht mehr

Politik und Wirtschaft fordern seit vielen Jahren einhellig „lebenslanges Lernen“. Bei dieser oft bemühten Phrase zeigt sich schnell die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Wenn Unternehmen die Zeichen der Zeit nicht erkennen, warum sollten Arbeitnehmer selbst motiviert handeln? Wer heute altersmäßig um die 50 ist, hat sich in seinem Job meist eingerichtet und beschreitet ihn, indem er täglich auf lange eingeübte Routinen zurückgreift. Warum auch nicht, wenn das doch jahrzehntelang gut funktionierte? Das mag auf den ersten Blick stark vereinfacht klingen, dürfte aber bei vielen Arbeitnehmern tatsächlich der Fall sein, gerade im weniger hohen Qualifikationsbereich.

Gerade diese Arbeitnehmer landen nicht selten auf dem Abstellgleis, wenn sie gezwungen sind, sich beruflich neu zu orientieren. Trotz langjähriger Berufserfahrung geraten sie gegen jüngere und zeitgemäßer ausgebildete Fachkräfte ins Hintertreffen. Die Bundesagentur für Arbeit verfügt zwar über verschiedene Möglichkeiten der Förderung, so auch durch Weiterbildungen oder sogar Umschulungen, doch ist das ein mühsames und oft langwieriges Unterfangen. Mal eben aufholen, was an digitalen Entwicklungen in den letzten zwei Jahrzehnten vonstattenging, stellt den Einzelnen vor eine extreme Herausforderung. Und sicher ist der erste Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer, selbst wenn sie berufserfahren sind und es ihnen gelungen ist, sich entsprechend zu qualifizieren, nicht wirklich durchlässig.

Weiterbildung bietet Chancen

Sich neben dem Beruf weiterzubilden erscheint dennoch sinnvoll, gerade in einer Zeit der stetigen und immer schneller werdenden Veränderung. Dass es dennoch nicht in dem wünschenswerten Maße passiert, liegt an mehreren Gründen: Neben der Nachlässigkeit einiger Arbeitgeber, die es versäumen, ihren Mitarbeitern die notwendigen Anreize zu liefern und einer zumindest teilweise zu gering ausgeprägten individuellen Einsicht in die grundlegende Notwendigkeit der kontinuierlichen Qualifizierung, sind es vor allem systemische Zwänge.

Wer einem Vollzeitjob nachgeht, zudem oft noch Überstunden leisten muss und das bisschen Freizeit, das ihm bleibt, seiner Familie widmet, wird kaum die Zeit und die Motivation finden, sich parallel zur Arbeit fortzubilden. Vielen Arbeitnehmern ist zudem nicht einmal bewusst, dass sie beispielsweise einen Anspruch auf Bildungsurlaub haben: Die exakten Richtlinien variieren von Bundesland zu Bundesland, aktuell ist solch ein Bildungsurlaub in 14 der 16 Bundesländer möglich.

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